Detaillierte Version der Kirchengeschichte (4)
Die Israeliten
Die Juden in Weisendorf waren bis 1802 ebenfalls im Rahmen der Repeuplierung, das ist die Ansiedlungspolitik der jeweiligen Rittergutsbesitzer, auf 20 Haushalte angewachsen. Sie verdienten sich als Händler und Kleingewerbetreibende ihren Lebensunterhalt und mussten dafür Kopfgeld und andere zusätzliche Abgaben an den Rittergutsbesitzer und Neujahrsgeld an das evangelische Gotteshaus bezahlen. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts betrug jenes Neujahrsgeld einen Conventionsthaler, den sie an den protestantischen Geistlichen abzuführen hatten. Wegen des Anwachsens der israelitischen Gemeinde beantragte Pfarrer Johann Köhler am 25. August 1802 die Erhöhung des Neujahrsgeldes von einem Conventionsthaler auf zwei = 4 Gulden 48 Kreuzer rheinisch. Gegen den erbitterten Widerstand der Judenschaft entsprach das Patrimonialgericht Weisendorf diesem Ansinnen.
Die bayerische Regierung kümmerte sich bei weitem intensiver um eine bessere Beschulung der israelitischen Jugend als dies in der Zeit davor üblich gewesen ist. Die allgemeine Schulpflicht galt ab dem Judenedikt von 1813 auch für die jüdische Bevölkerung und schränkte damit die althergebrachte Unterweisung in der Synagoge ein, was vehementen Widerstand der Israeliten hervorrief. Sie sorgte für ausgebildete jüdische Religionslehrer und kümmerte sich um entsprechende Schulen oder um die Einrichtung von ordentlichen und zweckmäßigen Schulzimmern, in denen ein Unterricht nach ministeriellem Curriculum und vorgeschriebener Didaktik abgehalten werden konnte. Der israelitische Lehrer hatte traditionell drei Aufgaben: einmal die des Vorsängers in der Synagoge, zum anderen die des Schächters, d.h. er wählte die zum Opfer bestimmten "koscheren" Tiere aus und schlachtete sie, und schließlich die des Unterrichtens der jüdischen Kinder in ihrer Religion. Diese Aufgaben waren bislang häufig gleichzeitig von verschiedenen Männern wahrgenommen worden. Nach Ansicht der Regierung sollten aber vor allem die Aufgaben des Vorsängers mit denen des Religionslehrers vereint werden, damit der israelitische Lehrer finanziell besser gestellt wäre und unvermeidliche Rivalitäten zwischen Vorsänger und Lehrer ein für allemal vermieden würden. Andererseits sollte das Schächten nicht mehr vom Lehrer, sondern von einem eigenen Judenmetzger übernommen werden. Dies bedeutete einen erheblichen Eingriff in das jüdische Leben. Um sicher zu stellen, dass der Schul-Erlass aus dem Jahre 1828 von den teilweise heftig widerstrebenden Judengemeinden auch erfüllt werde, stellte die bayerische Regierung sie unter die Verwaltungshoheit entweder der evangelischen oder katholischen Lokalschulinspektionen, so auch in Weisendorf.
Weisendorf und Kairlindach wurden nach diesem Erlass zu einem israelitischen Schulbezirk zusammengelegt. Rezelsdorf blieb außen vor, da dort keine Juden wohnten. Dies passte insofern gut, weil in Kairlindach der Bruder des Weisendorfer Pfarrers Johann Friedrich Pflüger sen. als evangelischer Pfarrer und damit als Lokalschulinspektor amtierte. Zwar besaßen die immer zahlreicher werdenden Juden in Weisendorf bereits seit langem einen eigenen Religionslehrer für ihre Kinder, jedoch keine eigene Schule. Seit der Verordnung vom 14. Juli 1804 füllte Rachun Lippmann Engel dieses Amt aus, der zugleich Vorsänger und Schächter war. Deshalb sollten nunmehr möglichst rasch in beiden Orten eigene jüdische Volksschulen eingerichtet werden. Die Weisendorfer Juden hielten die Kosten für einen eigenen Lehrer und eine eigene Schule für viel zu hoch und schikanierten darum die ihnen von Staats wegen aufgebürdeten jüdischen Lehrer, wo immer sie konnten. Es handelte sich um einen Streit innerhalb der israelitischen Gemeinde, die übrige Weisendorfer Bevölkerung nahm daran offenbar keinen Anteil. Sie hatte nach wie vor ein ungetrübtes Verhältnis zu ihren Juden, wenn auch sicherlich eine gewisse Häme über diese innerjüdischen Streitereien an den Stammtischen geherrscht haben wird.
Die jüdische Gemeinde wuchs immerhin bis 1800 auf 10 % der Gesamtbevölkerung Weisendorfs an. Ihre Synagoge war in einem jüdischen Privathaus untergebracht. Ihre Kinder mussten für alle Unterrichtsfächer die evangelische Schule besuchen, nur für den Religionsunterricht gab es einen eigenen Religionslehrer und einen in einem Privathaus untergebrachten jüdischen Unterrichtsraum. Auseinandersetzungen zwischen Juden und Christen in Weisendorf kamen so gut wie gar nicht vor. Die Israeliten legten sich allerdings öfter mit der Obrigkeit in Person des evangelischen Pfarrers an, weil der als Lokalschulinspektor die Schulaufsicht auch über die jüdischen Kinder und sogar über die Lehrer führte. Die Weisendorfer Juden waren keine reichen Leute, sondern ländliche Kleinhändler und Tagelöhner. Nur einige von ihnen besaßen ein eigenes Haus. Geldgeschäfte größeren Stiles führten sie niemals durch. Als gegen Mitte des 19. Jahrhunderts die Verdienstmöglichkeiten der größeren Städte lockten, verließen die Israeliten Weisendorf ganz allmählich, so dass am Ende dieses Jahrhunderts nur noch eine einzige jüdische Familie in Weisendorf geblieben war. Jene erzog schließlich ihre Kinder im evangelisch-lutherischen Glauben und diese wiederum verheirateten sich mit evangelischen Christen; bis zur NS-Zeit gab es keine, im damaligen Jargon so genannten reinrassigen Juden mehr in Weisendorf. Deshalb waren auch antisemitische Ausschreitungen durch Nationalsozialisten dort kaum zu beobachten.
Das 19. und 20. Jahrhundert
Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sich ein friedvolles Zusammenleben der Konfessionen in Weisendorf. Man respektierte sich gegenseitig, hielt sich aber strikt voneinander getrennt. Dies machte sich besonders im Vereinsleben spürbar. Auch bei Baumaßnahmen der jeweiligen Pfarrgemeinde kann man diese strikte Trennung durchaus erkennen. Denn insbesondere die katholische Kuratie beauftragte grundsätzlich nur katholische Handwerker, während die evangelische Kirchengemeinde öfters jüdische Händler und katholische Werkleute mit Bauaufgaben betraute. Die beiden christlichen Gemeinden lebten also nebeneinander her und wo sie sich berühren mussten, verhielten sie sich jeweils sehr korrekt.
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann sich dieses strikte Nebeneinander immer mehr in ein Miteinander zu entwickeln. Man fing jetzt damit an, sich gegenseitig zu Vereinsfeiern einzuladen und bei der Mitgliedschaft in den Vereinen spielte die Konfessionszugehörigkeit allmählich kaum eine Rolle mehr. Schließlich wurde die katholische Kuratie 1916 durch den Erzbischof von Bamberg in eine selbstständige Pfarrei umgewandelt, die gleichberechtigt und selbstbewusst neben der evangelischen bestand.
Im Ersten und Zweiten Weltkrieg, dem 30-jährigen Krieg des 20. Jahrhunderts, starben die Soldaten beider Konfessionen nebeneinander im Schützengraben. Die Angehörigen daheim betrauerten gleichermaßen ihre Toten. Dieses schreckliche Kriegserlebnis schweißte die Weisendorfer gleichsam zusammen. Die konfessionellen Differenzen erschienen vor dem großen Gevatter Tod auf einmal klein und unwichtig. Das gemeinsam erduldete Leiden der Vertriebenen, die auch nach Weisendorf kamen, der Bombenopfer, die eine Unterkunft suchten, das schreckliche Schicksal der Vermissten und der Kriegsversehrten brachte die Gläubigen einander näher und verband sie in ihrem Kampf gegen menschliches Leid und seelische Not. Für die meisten Nationalsozialisten war eine Welt zusammengebrochen. Jetzt suchten sie im Glauben an Gott einen neuen Halt. Aus dieser Situation erwachte der ökumenische Geist, der in ein freundschaftliches Miteinander der Christen beider Konfessionen mündete. Der ökumenische Gedanke setzte sich zum Ziel, alle Christen in einer einzigen gemeinsamen Kirche zu vereinen. Eine Gemeinde wie Weisendorf, in der die Konfessionen, ob sie nun wollten oder nicht, bereits seit Jahrhunderten zusammenleben mussten, stellt ein reizvolles Studienobjekt für gelebte Konfessionsgeschichte dar. Hier werden die Reibungsflächen sichtbar vor Augen geführt und die Grenzen des Zusammenlebens aufgezeigt. Dass trotz aller Streitigkeiten, Reibereien und Neidreaktionen alsbald ein friedliches Miteinander möglich war, ist eine Erkenntnis, die für das ökumenische Leitbild hoffen lässt. Eine Beobachtung soll dabei besonders herausgestellt werden:
Immer dann, wenn die Geistlichen selbst ein gutes Beispiel vorlebten, ging deren friedvoller Geist auf die Gemeindeglieder über und es entstanden Phasen des Gemeindelebens, die bereits damals den Namen "Ökumene" verdient hätten.